
2025 mein Testament
Martin Schröder-Berlin und seine „Schreibmalerei“
„ […..] manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
Sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.“
(R.M. Rilke, Der Panther)
Martin bat mich, aus meiner Sicht, die auch einen besonderen Bezug zum Wort hat, über
seine „Schreibmalerei“ zu schreiben, das Wort des Künstlers dem Wort derjenigen, die
Germanistik studiert hat, gegenüberzustellen. Sein selbstformuliertes Motto zu diesem
Vorhaben lautete: „Was wäre die eine Disziplin ohne die andere?“
Beginnen möchte ich mit der letzten Strophe von Rilkes Gedicht „Der Panther“ (1902/03).
Rainer Maria Rilkes Worte beschreiben, wie ein Bild lautlos in die Wahrnehmung eindringt
und dann im Herzen zur Ruhe kommt, in der Seele ankommt.
Setzt nicht Martin Schröder-Berlin mit seinen Schreibmalereien diesen Prozess visuell und
textlich um? Dringen nicht seine Bilder in unser Inneres und klingen dort nach?
Entspricht nicht der Moment, in dem das Bild „im Herzen aufhört zu sein“, der Weise, wie
Martin Schröder-Berlins Werke eine reflektierende Stimmung erzeugen, die den Betrachter
innehalten lässt und nachdenklich macht?
Wie ging es mir, wie geht es mir inzwischen, wenn ich seine Bilder betrachte?
Ich bin es gewohnt, Worte in Texten gedruckt zu lesen oder sie selbst zu schreiben, um etwas
auszudrücken, es in „Worte zu fassen“, um Gedanken, Geschichten oder Informationen zu
vermitteln.
Das „gemalte Wort“ integriert visuelle Elemente in der Darstellung von Sprache, wie z.B.
Farben, Formen, die Komposition. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die visuelle Wirkung
und die Emotion, die es auslöst, stehen im Vordergrund.
Bei Martin wird die Schrift, das Wort, der Wortinhalt zum Motiv. Um 2000 kreierte er dafür
den Begriff „Schreibmalerei“. Der Buchstabe selbst wird für den Betrachter zum Gegenüber.
Das war für mich zunächst ungewohnt, auch weil es sich bei Martin oft nur um einzelne
Worte oder kurze Wortsequenzen handelt.
Ein Beispiel:
Wenn ich auf einem seiner Bilder ganz groß „ich lüge“ lese, stehe ich erst einmal davor und
spüre spontan so etwas wie Ablehnung. Ich lüge schließlich nicht! Ich gebe mir Zeit, so der
Rat von Martin, und bewege diese beiden Worte in mir. Sie lösen Gedanken und Fragen aus.
Wie oft „lüge“ ich doch immer wieder bzw. be-lüge gerade auch mich selbst?
Das „i“ beim „ich“ ist klein geschrieben, erklärt Martin, weil es einen mehr Nähe, mehr
Berührbarkeit spüren lässt im Unterschied zu dem „Ich“ großgeschrieben, was mehr Distanz
und Abgrenzung vermittelt. Wenn ich dem nachspüre, kann ich zustimmen.
Wie entsteht ein Schreibmalerei-Bild?
Martin Schröder-Berlin nennt seine Schreibmalerei auch „Befindlichkeitsmalerei“ und er
betont dabei die „unakademische Herangehensweise“ an sein Tun.
Martin geht aus vom Wort, das ihn bewegt. D.h. vor dem Wort ist der Gedanke, ein Erlebnis,
eine Inspiration. Die Gedanken bekommt er durchs Beobachten, durch den Kontakt mit
Menschen und wie bei einem Trichter entsteht dann daraus das Eigene, das er künstlerisch
verarbeitet. Oft erfolgt seine Motivfindung auch durch den Umgang mit eigenen Schwächen
oder denen der anderen.
Diese Konfrontation mit Unzulänglichkeiten will er umwandeln in etwas Konstruktives –
eben um etwas „daraus zu machen“! Sie werden malerisch „non-verbalisiert“, „entschriftet“.
Seine künstlerische Tätigkeit sieht er in einer Auseinandersetzung mit sich selbst. Er hat
„etwas“ durchlitten, erarbeitet, thematisiert und dies umgesetzt in ein Bild. Seine
Schreibmalerei ist quasi eine inhaltliche Wiedergabe dieser Auseinandersetzung mit seiner
eigenen Person. Die Bilder, die entstehen, sind „Betroffenheitsbilder“.
Martin Schröder-Berlins Arbeiten sind oft von seinem starken Wunsch nach Ausdruck und
Entfaltung geprägt, trotz oder gerade wegen der Begrenzungen und Herausforderungen seines
Lebens.
Als „Stellvertreter“ bietet er dem Betrachter seine eigene Assoziation, sich selbst mit sich
auseinanderzusetzen, an.
Gewissermaßen sind so seine Bilder wie „entpersonalisiert“, denn jeder, der sie betrachtet,
kann sich aussuchen, wo und wie er zu dem, was er sieht und wahrnimmt, steht.
Das „ich“ als die Person, die das Bild sieht, spricht mit dem Bild. Martin hat damit dann
nichts mehr zu tun.
Bilder, wie z.B. „deine Angst oder meine?“ oder „vom ich zum du“ oder „der selbstbetrug
oder die suche nach der eigenen Wahrheit“ zeigen, er fühlt sich diesem Stellvertretertum
verpflichtet, was er auch mit seiner Aussage: „Der Mensch ist das wichtigste Faktum in
meiner Arbeit“ unterstreicht.
Um den Bogen zu Rilkes Gedicht wiederaufzunehmen:
Der Moment, in dem sich „der Vorhang der Pupille lautlos aufschiebt“ kann als Metapher
verstanden werden für die Momente, in denen wir tiefere Einsichten oder Verbindungen zu
dem, was wir betrachten, erleben. Momente, in denen wir über das Offensichtliche
hinausblicken und eine emotionale oder gedankliche Verbindung herstellen.
Martin Schröder-Berlin verwendet Schreibmalerei, um - wie schon gesagt - Befindlichkeiten
auszudrücken, innerliche Emotionen auf die Leinwand zu bringen. Dies kann für den
Betrachter eine intensive Erfahrung sein, wenn er sich auf den Dialog mit dem Kunstwerk
einlässt und es können Momente von Klarheit und Erkenntnis entstehen, die ihn tief im
Inneren berühren.
In seiner aktuellen Ausstellung (18.12.24 - 03.04.25) „aus dem Sarkophag heraus“ fällt ein
Bild auf, dem Martin den Titel „mein Testament“ gegeben hat. Es ist neu – entstanden auf
dem Hintergrund seiner schweren Erkrankung - und es berührt mich.
Ein großes, farbenfrohes, buntes Bild, das er selbst den „finalen Teil meiner Arbeit“ nennt
und auf dem er wichtige Stationen seines Lebens „schreibmalerisch“ dargestellt hat.
Es ist eine Komposition von Textfeldern, sie wirken wie choreographiert, zu lesen ist unter
anderem:
„Nicht ungesehen gehen“,
„in den letzten 30 Jahren habe ich viel geübt, meinen gesellschaftlichen Beitrag als Künstler
zu machen“,
„ich habe an meine Aufgabe als Künstler geglaubt“,
„ich schäme mich nicht für den, der ich geworden bin“
und:
„Ich heiße Martin Schröder-Berlin. Ja, ich bin kein Berliner“.
Wenn ich davorsitze und es betrachte, merke ich, es ist so sehr SEIN Bild, vielleicht sein
PERSÖNLICHSTES und Martin wird auch hier wieder seinem Anspruch an sein
Stellvertretertum als Künstler gerecht.
Es löst Gefühle in mir aus von Nachdenklichkeit über mein eigenes Leben, melancholische
Gefühle, Traurigkeit, weil es die Vergänglichkeit des Lebens anspricht.
Und doch ist dieses Bild ein kraftvolles Zeugnis des Lebens und der Erfahrungen von Martin
Schröder-Berlin, eine Mischung aus Erinnerungen, Abschied und Akzeptanz.
Ganz gemäß seinen eigenen Worten: „In der Unvollkommenheit liegt die Vollendung“.
Margit Müller
Ludwigsburg, im Januar 2025